Vilnius
Behütet wie unter einer Schneekugel, im Sommer gefeiert und mit der höchsten Dichte von Michelin-Sternen überhaupt.
Vilnius
Ein Verlobungsringballon schwebt über einem rosa gedeckten Tisch, Musik erklingt, als eine Hochzeitsgesellschaft fotografiert wird, Saft wird an einem Stand verkauft, Schachspieler finden zusammen und ein Fotoshooting in Tüll – all das vereint der Sommer im Bernadine Garden in Vilnius.
Winterlich scheint die Stadt stillzustehen. Kaum Spaziergänger entlang der Vilnia, Weihnachtsdekoration auch weit nach Weihnachten, geschützt, noch unentdeckt wie unter einer Schneekugel.
Ebenso vielfältig und individuell begegnet mir die Hauptstadt Litauens auch kulinarisch- mittlerweile sind 4 Restaurants jeweils mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, d.h. ganz Litauen zeichnet die höchste Sternedichte aufgrund ihrer nur 2,9 Millionen Einwohner aus, wie mir augenzwinkernd berichtet wird.
Morgens, mittags, abends esse und laufe ich mich durch die Stadt, so dass Ihr Euer perfektes Wochenende in Vilnius untenstehend selbst zusammenstellen könnt. Wohnen würde ich wahrscheinlich im Stikliai Hotel inmitten kleiner Gässchen oder im Narutis.
Läden, zu denen sich ein Spaziergang lohnt
Raštinė, der perfekte Concept Store und Café mit wunderschönen Stiften, Büchlein, sehr besonderen Geschenkideen.
Im Yugen Tea lässt es sich besonders gut für Tee einkehren, decke ich mich mit einem weiteren geliebten Teebecher ein.
Habe ich in allen Einsternern gegessen, dann mindestens zweimal von Keramik von Beatrice Keleriene, die es sich lohnt zu besuchen. Gerade bei einer Liebe zu handgemachten Teebechern und Schüsselchen.
Jede Stadt seine Markthalle, hier Halės turgus mit regionalem Street Food.
Du Bruliai – Anita Hass für Litauen.

Tagsüber
Nett zum Frühstück sitzt man in der Fußgängerzone auf der Straße des Kitchen Coffee Vilnius für Avocado Brot und Chia Pudding.
Mittags mochte ich sehr das hallenartige Augustin mit täglich wechselndem Mittagstisch. Gut aufgehoben mit wohliger Ochsenbacke, Austernpilz und Gemüse, sowie der Matcha-Crème mit Kokosnuss-Eis, so dass es mich auch abends interessieren würde.
Alles im Senatoriu Pasazas lohnt sich. Von draußen, herrlich duftenden Burgern vom muu grill, dem kleinen Farm-Laden oder der Weinbar taurės.

Vier Nächte – vier Sterne
Pas Mus
Für abends habe ich mir nach Ankunft das Restaurant Pas Mus ausgesucht, das von außen versteckt, mir auch deshalb optisch sofort gefällt. Kerzen und Wax fließen förmlich über, dunkle Töne unterstreichen die Ruhe des Raumes.

So folgen zackig aufeinander filigrane Kleinigkeiten von Vita und Dominik. Allerlei grün Gepickeltes macht den Anfang, von Gurke mit Holunder über fermentierten Spargel bis zu marinierter Erdbeere und mehr. Nach einer Auster, die ich heimlich verschmähe, kommt die litauische Signature Dish, ein dunkles Sauerteigbrot als warmer Muffin mit geschmolzener brauner Butter, Salz sowie Radieschen mit gesalzener Sour Cream und Brotkrumen.
Ein fluffig süßes Tartelette aus Topinambur vereint sich harmonisch mit Kartoffel-Schaum, karamellisierten Pilzen, geräuchertem Käse und gebeizten Eigelb.
Als Hommage an die davor sich befundene Pizzeria gilt die Scallop Pizza. Auf knusprigem Kartoffelchip ruhen glasierte japanische Jakobsmuscheln, eindeutig etwas, was ich noch nie gegessen habe und saftig kross überrascht. Das handgeschnittene Beef Tatar kommt mit Zwiebel und hausgemachter Sojasauce, dazu Brioche und Butter.

Zur Erfrischung werden gesalzene Erdbeeren mit doch sehr intensivem Spargel-Eis gereicht, bis zur auf Heu geräucherten zarten Entenbrust mit sämiger Buttersauce und sauer eingelegten Stachelbeeren, das mich entfernt und natürlich viel feiner an das Kassler mit Sauerkraut meiner Großmutter erinnert. Kirsch Granitée findet zu weißer Schokolade und beschließt das Menü weiterhin mit Kirsch Mousse und Karamell.
Zurückhaltend fragt Vita noch nach meiner best und worst dish, was fast unüblich ist, da normalerweise nur nach dem Besten gefragt wird. So oder so ist der Abend ein perfekter Einstieg in die regionale litauische Küche in extrem gemütlicher Umgebung.
Dziaugsmas
Von Stern zu Stern zieht es mich am nächsten Abend ins Dziaugsmas, in die litauische Bedeutung von Freude. Vier Einstimmer läuten das Menü im Dziaugsmas ein, das auf zwei Ebenen cool urban wirkt. Sanfte Geschmäcker einen das geräucherte Aal-Mousse mit mariniertem Fenchel und Yuzu, das Malz-Tartelette mit Heilbutt Ragu, karamellisierten Karotten und Kreuzkümmel Sauce. Das Rindertatar ruht auf einem Käsechip mit -Crème und ein Mais Tartelette verbindet Ochsenschwanz, marinierte Zwiebeln, Mais und Käsesauce.

Ein länglicher Raviolo wird als Dumpling gefüllt mit Ziegenkäse und begleitet von Fischbrühe, Guajillo Pfeffer Sauce, Erbsen-Karotten-Algensalat. Es folgt ein perfekt gegarter Heilbutt mit Kaffir Limetten-Sauce und Kaninchen mit der Süße von Backpflaumen, Sellerie und Kartoffelbrei.
Abschließend werde ich von einem Malz-Panna Cotta mit weißem Schokoladen Mousse und Kümmel-Eis verabschiedet und könnte mich leicht in einer anderen urbanen Hauptstadt wähnen.
Nineteen18
Highlight meines ersten Trips nach Vilnius ist der Besuch am dritten Abend bei Andrius Kubilius im Nineteen18. Hell und freundlich mit offener Küche schwingt allseits gute Stimmung mit, ist das Menü durchdacht, zum Teil erfrischend augenzwinkernd. Das Maskottchen ein Plüsch-Einhorn.

Ein Querschnitt eigener Produkte läutet das Menü ein, von frischem Gemüse der eigenen Farm, Beef vom eigenen Schlachter und Sauerteigbrot vom eigenen Bäcker. Zierlich erfreut anschließend ein Rote Bete Meringue mit Enten-Confit sowie Lachs mit Kabeljau-Leber-Artischocken-Crème, getoppt mit Kaviar. Das Rindertatar ruht in einem Käsekörbchen mit Zwiebel und gerösteter Haselnuss, ein Miniatur Bagel ist gefüllt mit Ochsenschwanz, dazu gepickelte Gurken und Schweinespeck.
Als Hommage an Andrius Mutter folgen Dumplings mit Schwein und Rind und einer Pilz-Crème bis eine alte Milchkuh begeistert dank stundenlang eingekochtem Hühnchen-Karamell, fermentierter Knoblauch-Crème und gepickelten Zwiebeln.

Zum ersten Mal entdecke ich die Säure von gefrorenen Ameisen, der Süße von Lindenblüten-Eis und Birken-Sirup entgegengestellt. Ebenso erinnerungswürdig das verbrannte Butter-Eis mit Salzkristallen, Karamell und verbrannter Schokolade oder der Abschluss in Form eines Karamells mit Specknote.
Demoloftas
Zwischen Plattenbau und Blockwohnungen befindet sich das Demoloftas, ein offener, zweistöckiger Raum für verschiedene Konzepte, von Galerie zu Frühstück und Mittagslocation. Abends wandelt sich die ehemalige Manufaktur für Knöpfe und später Abhörgeräte in das Michelin-ausgezeichnete Restaurant mit Küchenchef Tadas Eidukevičius.

Zu wählen ist von zwei Menüvarianten, von der ich leider die kleinere, eigentlich zu teilende Farmer’s Table Version nehme statt das 10-gängige Author’s Menü, das die moderne litauische Küche abbildet. Nächstes Mal!
So bekomme ich auf einen Schlag die ersten fünf Gänge aus Zutaten der umliegenden Farmer, die sich harmonisch ergänzen: Traditionelles, selbstgebackenes Brot und Butter mit geräuchertem Aalfett, Kartoffel Krapfen gefüllt mit Basilikum und Käsecrème, herrlich schlotziges Lauch, geröstete Kartoffeln und Flusskrebsschwänze.
Als Hauptgang entscheide ich mich für ein zartes Filet vom Damwild mit Schwarzwurzelpüree, gespickt mit Mikro-Kressen, eingelegter Stachelbeere und einer Blaubeer-Pfeffer-Sauce.
Ein beabsichtigt schnelles und kompaktes Dinner, das mit einem erinnerungswürdigen Dessert aus Reispudding, karamellisierter Sahne, Beluga Kaviar, Maraschino Kirsche, Reis Crisp, Quittengelee und Nougatpraline abschließt und neugierig auf die kompletten 10 Gänge schielen lässt.

Fabrikėlis
Etwas außerhalb der Stadtgrenze fahre ich einen Abend zum Fabrikėlis, gläsern mit Kerzenlicht einladend, eben sehr gemütlich. Inspiriert von den litauischen Jahreszeiten, nehme ich ein Haselnuss Tartelette mit karamellisierten Topinambur-Püree und 36 Monate gereiften Dziugas Käse, daneben ein Sellerie-Taco mit Forelle und selbigen Kaviar, Jalapeño-Püree und Salbei-Emulsion und ein Kürbis Cornetto mit Kürbispüree, Muskat und Haselnuss.
Ebenso regional die geröstete Entenbrust mit Apfel Mille-feuille und Shitake sowie der abschließende Apfel Donut, wenn auch nicht ganz so überzeugend wie seine besternten Kollegen.

SENSES. Books & Spirits
Die spontanen Besuche sind oft die schönsten. Von Alois aus dem Demaloftas empfohlen, kehre ich noch in die Wohnzimmer ähnliche Bar „SENSES. Books & Spirits“, ein deren Eigentümerin erst einen Abend zuvor die Regie übernommen hat. Zu 90er Liedern wird laut gesungen, um mich herumgetanzt, so dass ich mich frage, warum es so etwas nicht in Hamburg gibt.

Nächstes Mal
Kreuz und quer
Woodcuisine
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ZEIK*
Louis,Thomas und ich
Tim Raue**
»Mad« about Kopenhagen
Lissabon
Söl’ring Hof**
About last night
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